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100 % erneuerbare Energieversorgung
Wie kann die Energiewende in der Praxis funktionieren?

Österreich hat sich ambitionierte klimapolitische Ziele gesetzt: Klimaneutralität bis 2040 und bereits 2030 soll unser Strom zu 100 % aus erneuerbaren Quellen stammen. Dazu braucht es nicht nur den massiven Ausbau der Kapazitäten von Wind- und Sonnenenergie. Auch die Energieinfrastruktur und die Steuerungsprozesse müssen so transformiert werden, dass große Mengen an erneuerbarer Energie in die Strom- und Wärmenetze eingebunden werden können und eine nachhaltige, sichere Energieversorgung gewährleistet ist. Dezentralisierung, Digitalisierung und Demokratisierung des Energiesystems sind Schlüsselbegriffe in diesem Prozess.
 
Eine zentrale Rolle für die Energiewende spielt die Entwicklung von integrierten regionalen Energiesystemen. Die Transformation hin zu 100 % erneuerbarer Energieversorgung wird zu einem großen Teil dezentral in den Regionen stattfinden. Damit dieser Prozess gelingt, müssen Bürger:innen und regionale Akteur:innen den Umbau aktiv mitgestalten und an der Wertschöpfung im zukünftigen Energiesystem teilhaben können. Technologien und Einzellösungen für das Energiesystem der Zukunft sind bereits entwickelt und schon heute am Markt verfügbar. Jetzt geht es darum, das komplexe Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten und Akteur:innen in integrierten Energiesystemen im Realbetrieb zu erproben.

Leitinitiative „100 % Erneuerbare-Energie-Reallabore“

Im Rahmen des FTI-Schwerpunktes Energiewende hat das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) eine Leitinitiative gestartet, um sogenannte „100 % Erneuerbare-Energie-Reallabore“ zu initiieren, in denen prototypische Systemlösungen für integrierte, regionale Energiesysteme entwickelt und getestet werden. Ziel ist es, bis 2025 fünf Reallabore für unterschiedliche Regionstypen in Österreich aufzubauen und zu begleiten und damit erste Validierungen und Modelllösungen für die Energieversorgung mit 100 % erneuerbarer Energie voranzutreiben.
 
Zum Start fand ein Fachdialog „Die Energiewende proben – (wie) geht das?“ statt, bei dem die Grundlagen und Zielsetzungen der Leitinitiative im Dialog mit Akteur:innen aus der Praxis und wissenschaftlichen Expert:innen erarbeitet wurden. 

Auf folgenden Ebenen sollen Erkenntnisse gewonnen werden:
> Technologien und Lösungen für integrierte, regionale Energiesysteme
Welche Technologien, Komponenten und technischen Systemlösungen werden benötigt und wie können wir diese bereitstellen?
> Organisation der Energiesysteme
Wie organisieren wir das Zusammenspiel von unterschiedlichen Akteur:innen und Systemelementen (inkl. Markt- und Geschäftsmodelle, rechtlich-regulatorische Rahmenbedingungen)?
> Transition der Energiesysteme
Wie finden die neuen Lösungen Eingang in den Lebensalltag von Bürger:innen, Gemeinden und Regionen, Unternehmen und Infrastrukturbetreibern?

Multiplizierbare Lösungen

Österreichs Regionen haben teils sehr unterschiedliche Voraussetzungen für den Umstieg auf eine 100 % erneuerbare Energieversorgung. Landwirtschaftlich dominierte Regionen, Alpenregionen, Städte und Industrieregionen unterscheiden sich u. a. in ihrer Verbraucherstruktur, den regional verfügbaren Ressourcen sowie den Infrastrukturen (von Energienetzen bis zu Gebäuden). Durch Systemintegration soll in den Reallaboren gezeigt werden, wie in der jeweiligen Region ein möglichst hoher Anteil der erzeugten erneuerbaren Energie regional eingesetzt werden kann und wie z. B. eine Überproduktion im System zu managen ist.
 
Die Einbindung aller relevanten regionalen Partner ist dabei von zentraler Bedeutung. „Regional“ bedeutet hier, dass sich zur Umsetzung des Reallabors Bedarfsträger:innen zu einem Konsortium zusammenschließen, die geo­grafisch und im Kontext des betrachteten integrierten Energiesystems in einer Beziehung stehen. Die zentralen Akteur:innen des Reallabors sollen einen realen Bedarf an den neu entwickelten Lösungen haben und diese in der Folge auch tatsächlich umsetzen wollen. Die Validierung im Realmaßstab wird sowohl als Entwicklungsimpuls für die konkrete Region wirken, als auch zum überregionalen Wissensaufbau beitragen. Ziel ist es, die fehlenden (Schlüssel)-Komponenten in integrierten Energiesystemen zu identifizieren und weiterzuentwickeln, um zu multiplizierbaren Lösungen zu kommen. 

Im Reallabor werden Systeme entwickelt, die durch Steigerung von Effizienz, Synergie, Flexibilität und Sektorkopplung den Systembetrieb und den Einsatz von 100 % erneuerbarer Energie in der Energieanwendung ermöglichen. Dabei soll regionale Wertschöpfung geschaffen und die aktive Beteiligung der regionalen Akteur:innen im Energiesystem erzielt werden.

Was ist ein 100 % Erneuerbare-Energie-Reallabor?
Um neue Technologien und Einzellösungen skalieren und in integrierten, regionalen Energiesystemen einsetzen zu können, braucht es vorab den Test in der Praxis. Innovative Technologien müssen in einem realen Umfeld zusammengebracht, in realem Maßstab erprobt und ihre Wechselwirkungen im System beobachtet und analysiert werden. Ein Reallabor ist im Rahmen von Transformationsprozessen sozusagen der letzte Schritt vor der breiten Umsetzung neuer Lösungen. Unterschiedliche Akteur:innen aus Wissenschaft und Praxis arbeiten dabei transdisziplinär zusammen. Mit den „100 % Erneuerbare-Energie-Reallaboren“ sollen wesentliche Aspekte der vollständigen Versorgung mit erneuerbarer Energie realitätsnah abgebildet werden. Zukünftige Situationen im Energiesystem können so (zumindest in Teilen) vorweggenommen werden. Dazu zählen z. B. eine hohe Dichte an PV-Anlagen in Kombination mit Ortsspeichern, Flexibilisierungsmöglichkeiten kommunaler und regionaler Betriebe, Niedertemperatur-Fernwärmenetze in Verbindung mit Abwärmenutzung lokaler Unternehmen, etc.
 
Ein Reallabor deckt die gesamte Wertschöpfungskette ab – von der Erzeugung über die Speicherung bis hin zum Transport und der Nutzung von Energie. Das Erproben im Realbetrieb soll zeigen, wie die verschiedenen Elemente eines regionalen Energiesystems auf technischer, organisatorischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Ebene zusammenwirken. Eine zentrale Frage ist, wie durch das Zusammenspiel von einzelnen Komponenten und Systemelementen (Erzeugungsanlagen, Gebäude und Quartiere, Gewerbebetriebe, Energiegemeinschaften, Netze und Infrastrukturen, Speicher, etc.) neue Funktionen, z. B. in Hinblick auf Effizienz, Flexibilität und Resilienz des Energie-systems geschaffen werden können. Die Betrachtung sämtlicher Energiesektoren (Strom, Wärme/Kälte und Mobilität) sowie die Sektorkopplung spielen dabei eine wichtige Rolle.
 
Ein Reallabor benötigt zur Durchführung der Realexperimente eine „Laborausstattung“ (d. h. Anlagen, Infrastrukturen, Gebäude, etc.) sowie „Testobjekte“ (System und Systemelemente). Zusätzlich kommen im Reallabor gezielte Methoden der Forschung und Entwicklung zum Einsatz, wie Pilotierung und Demonstration, Ko-Simulation, Digital Twin, etc.

 

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