Der wachsende Anteil erneuerbarer Energien und die zunehmende Dezentralisierung der Energieaufbringung erfordern eine Anpassung unseres Energiesystems. Das schwankende Angebot aus erneuerbaren Energiequellen wie Wind- und Sonnenenergie verändert die Situation in den Übertragungs- und -verteilernetzen grundlegend. Für ein sicheres Funktionieren des Stromsystems müssen Stromverbrauch und -erzeugung jederzeit ausgeglichen sein. Bei einer konstanten Netzfrequenz von 50 Hertz ist dieses Gleichgewicht gewährleistet und die Energieversorgung stabil.
Die Netze können selbst praktisch keine Energie speichern. Schwankungen zwischen Energieerzeugung und -verbrauch sowie kleinere Netzfehler und Frequenzabweichungen wurden bisher in konventionellen hydraulischen und thermischen Kraftwerken von den großen rotierenden Schwungmassen der Turbinen ausgeglichen. Dies bezeichnet man als Systemträgheit. Im Gegensatz dazu sind Windkraft- und Photovoltaikanlagen in der Regel über Wechselrichter an das Netz angeschlossen, wodurch sie mit den heute gängigen Regelungsverfahren keine eigene natürliche Schwungmasse bereitstellen und damit auch nicht frequenzstabilisierend auf das System wirken. Durch den Umbau des Energiesystems auf erneuerbare Energie gehen immer mehr konventionelle Kraftwerke vom Netz und dadurch gibt es im Gesamtsystem weniger natürliche Schwungmasse. Dies stellt eine zunehmende Herausforderung für das Stromversorgungssystem dar.
„Wir brauchen neue Netzelemente und neue Mechanismen in unserem Stromnetz, um die Basis für die Integration von erneuerbaren Energieträgern zu schaffen und das aktuell hohe Niveau der Versorgungssicherheit zu halten. Genau da setzt das Projekt „ABS fürs Stromnetz“ an. Mittels intelligenten Speichersystemen und weiteren schnell regelbaren Technologien werden Möglichkeiten zur Stabilisierung des heimischen sowie europäischen Stromtransportnetzes der Zukunft aufzeigt. Das Projekt steht für ein dynamisches System zum Gelingen der Energiewende und zur Einhaltung der Sicherheit unseres Stromsystems.“
Michaela Leonhardt, Ph.D.
Projektleiterin Austrian Power Grid AG
Batteriespeicher als Lösungsansatz
Im Rahmen des Forschungsprojekts ABS4TSO (ABS for Transmissonsystem Operators) untersucht der Übertragungsnetzbetreiber APG (Austrian Power Grid AG), in Kooperation mit Projektpartnern1 innovative Ansätze zur Stabilisierung des Stromsystems, zur sicheren Stromversorgung sowie zur Integration von erneuerbaren Energieträgern. Im Zentrum steht das Konzept, intelligente Batteriespeichersysteme sowie weitere schnell regelbare Technologien einzusetzen, um sehr schnell auf Frequenzabweichungen im Übertragungsnetz reagieren und das Hochspannungssystem stabil halten zu können. Die Schwungmasse, die bisher die rotierenden Generatoren geliefert haben, könnte in Zukunft virtuell mittels Batteriespeicher und Wechselrichtern bereitgestellt werden. ABS steht hier für „Advanced Balancing Services“. Wie das ABS-System im Auto könnten Speichersysteme zukünftig die Aufgabe übernehmen, das System in schwierigen Situationen in der Spur zu halten.
Versuchsanlage in Wien
Um dieses zukunftsweisende Konzept zu testen, wurde 2019 im APG-Umspannwerk Wien Südost eine Versuchsanlage installiert. Das Herzstück ist ein Batteriespeichersystem mit einer Leistung von 1 MW und einem Energieinhalt von 500 kWh. Hier werden die Eigenschaften hochdynamischer Systemdienstleistungen, die zur Gewährleistung der Systemstabilität und -sicherheit in Zukunft notwendig sein werden, untersucht. Die Batteriezellentechnik auf Basis von Lithium-Ionen-Batterien ist bereits ein erprobter Standard. Der Wechselrichter musste hingegen für die Untersuchungen im hochdynamischen Bereich speziell adaptiert werden. Während bei Standardprodukten die Reaktionszeit im Sekundenbereich liegt, muss der ABS4TSO-Wechselrichter hochdynamisch in Millisekundenbereich reagieren, um virtuelle Schwungmasse bereitstellen zu können. Im Rahmen des Projekts wurden eigene Parametrierungsmöglichkeiten sowie neue zusätzliche Funktionen für den Wechselrichter im Labor erforscht, simuliert, programmiert und schließlich im System implementiert.
Mehrere Funktionen steuern
Im Feldtest wird nun anhand von realen Frequenzverläufen und aktuellen Netzereignissen untersucht, ob das Batteriespeichersystem das Stromsystem so stabilisieren kann, wie das die rotierenden Massen der konventionellen Kraftwerke tun. Ziel ist es, dass der Speicher mehrere Funktionen, d. h. hochdynamische Services übernimmt. Dazu zählen u. a. die Frequenzstabilisierung durch Lieferung künstlicher Schwungmasse, die Bereitstellung von hochdynamischer Regelleistung sowie die Dämpfung von niederfrequenten Systemoszillationen. Das System soll sowohl auf jede einzelne dieser Situationen als auch auf Kombinationen daraus reagieren können. Im Vorfeld wurden dafür im Labor umfangreiche Simulationen durchgeführt und daraus Vorgaben für den Praxistest abgeleitet. Basierend auf den Forschungsergebnissen aus der Versuchsanlage soll bewertet werden, ob die neuen Systemdienstleistungen in der Praxis realisierbar sind und auf das europäische Übertragungsnetz hochskaliert werden können.
www.energieforschung.at/projekte/1012/advanced-balancing-services-for-transmission-system-operators
www.apg.at/projekte/abs4tso
1 PROJEKTPARTNER:
Austrian Power Grid AG (Projektleitung), AIT Austrian Institute of Technology GmbH, Technische Universität Wien, VERBUND Hydro Power GmbH, VERBUND Energy4Business GmbH, VERBUND AG
Ein Projekt im Rahmen des Energieforschungsprogramms des Klima- und Energiefonds.
www.energieforschung.at