Die Dekarbonisierung der Industrie ist ein wichtiger Hebel zur Erreichung der europäischen und nationalen Klimaziele und zugleich eine der größten Herausforderungen. In Österreich ist die Industrie für knapp 29 % des Energieverbrauchs verantwortlich. Vor allem die energieintensiven Sektoren Eisen und Stahl, Zement und Chemie benötigen für ihre Produktionsprozesse sehr hohe Temperaturen und verursachen erhebliche Treibhausgasemissionen.
Irmela Kofler leitet am metallurgischen Kompetenzzentrum für Eisen- und Nichteisenmetallurgie K1-MET den Forschungsbereich Dekarbonisierung und Sektorkopplung und hat genau diese industriellen Prozesse im Fokus. „Wir unterstützen die Industrie auf dem Weg zur CO2-neutralen Produktion und verfolgen dabei zwei Schwerpunkte“, erklärt die Expertin, „einerseits geht es darum, CO2-Emissionen durch den Einsatz von alternativen Energieträgern, wie z. B. Wasserstoff zu vermeiden. Andererseits wollen wir dort, wo CO2-Emissionen unvermeidbar sind, einen Wertstoff daraus generieren.“
Große Industrieanlagen haben die gebürtige Linzerin schon als Kind fasziniert. Die Begeisterung für Technik und ein spannender Chemieunterricht in der Schule gaben den Anstoß für das Studium der Technischen Chemie, zunächst mit dem Ziel, in die Pharmaforschung zu gehen. Die Arbeit im Milligramm-Maßstab im Labor war dann doch nicht das Richtige und so promovierte Kofler in Verfahrenstechnik. „Je früher und selbstverständlicher man mit technischen Themen in Berührung kommt, desto eher traut man sich als Mädchen zu, solche Berufe in die engere Auswahl zu ziehen“, ist Kofler überzeugt.
Demoprojekt in der Stahl- und Zementindustrie
2023 wurde das Leitprojekt ZEUS (Zero Emissions throUgh Sector Coupling) gestartet, mit dem die Produktion von grünem Wasserstoff sowie die Kreislaufführung von erneuerbaren Gasen bzw. flüssigen Kohlenwasserstoffen im industriellen Umfeld demonstriert wird. K1-MET hat im Projekt die Konsortialführung, Irmela Kofler ist als Supervisorin tätig und trägt die finanzielle Gesamtverantwortung für das große Forschungsvorhaben. ZEUS konzentriert sich auf die schwer zu dekarbonisierenden Industriezweige Stahl und Zement. Ziel ist die Entwicklung und Pilot-Demonstration eines umfassenden Gesamtkonzepts für die klimaneutrale Produktion: von der Herstellung und Aufbereitung von grünem Wasserstoff unter fluktuierenden Prozessbedingungen, bis hin zur Abscheidung von CO2 aus industriellen Abgasen und der Umwandlung in wertvolle, speicherbare Kohlenwasserstoffe (z. B. synthetisches Erdgas). Dazu werden im industriellen Umfeld verschiedene Technologien (6 MW PEM-Elektrolyse, CO2-Abscheidung, katalytische Methanisierung, CO2-Elektrolyse) erforscht, getestet und zu Prozessketten verschaltet. „Die ganzheitliche CO2-neutrale Prozesskette, die am Beispiel der Stahl- und der Zementindustrie demonstriert wird, kann auch auf andere Industriezweige übertragen werden. Um den energieeffizientesten Weg aufzuzeigen, stellen wir unterschiedliche Technologien gegenüber,“ erläutert Kofler.
Neben dem Ausbau der erneuerbaren Energieproduktion liegt ein wichtiger Fokus auf der Vernetzung der Energiewirtschaft mit der energieintensiven Industrie. Durch Sektorkopplung sollen Überschüsse aus der erneuerbaren Stromerzeugung in speicherbare Energieträger umgewandelt werden und zur Stabilisierung des Energiesystems beitragen. In Prozessen, wo CO2-Emissionen unvermeidbar sind, ist die CO2-Abscheidung und -Umwandlung in speicherbare Produkte der zentrale Ansatz. Das ZEUS-Konsortium1 umfasst Partner:innen aus der Energiewirtschaft, der Industrie und der Forschung und bildet die gesamte Wertschöpfungskette (Anlagenbau, Technologieentwicklung, Produktion etc.) ab. Durch die Demonstration an zwei Industriestandorten wird das Projekt dazu beitragen, den Transfer von klimafreundlichen Technologien in die Praxis zu beschleunigen und das Konzept der Sektorkopplung in Österreich zu verankern.
1 Projektkonsortium: K1-MET GmbH, Energieinstitut an der JKU Linz, Institut für Organische Chemie – JKU Linz, GIG Karasek GmbH, Montanuniversität Leoben – Lehrstuhl für Verfahrenstechnik des industriellen Umweltschutzes, Rohrdorfer Zement – Zementwerk Hatschek GmbH, TU Wien – Institut für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und technische Biowissenschaften, Verbund AG, voestalpine Stahl GmbH, WIVA P&G – Wasserstoffinitiative Vorzeigeregion Austria Power & Gas