Etwa ein Drittel des österreichischen Energieeinsatzes und rund 20 % des heimischen CO2-Ausstoßes entfallen auf Raumwärme- und Warmwasserversorgung.1 Um das nationale Ziel, Klimaneutralität bis 2040, zu erreichen, muss die Wärmewende, d. h. der Umstieg auf erneuerbare Energieträger im Wärmesektor, vorangetrieben werden. Neben Biomassetechnologien, Fernwärme und direkter Solarnutzung hat Geothermie das Potenzial, ein wichtiger Baustein im zukünftigen Energiesystem zu werden.
Wärmestrategie für Österreich
Vertreter*innen aller neun Bundesländer erarbeiten aktuell gemeinsam mit dem Bundesministerium für Klimaschutz und dem Bundesministerium für Finanzen eine Wärmestrategie für Österreich. Gemäß Beschluss der Landesenergiereferent*innen, bekräftigt durch die Landeshauptleute, ist das Ziel die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung von Gebäuden (Wohngebäude und Nicht-Wohngebäude) bis 2040 durch die Umstellung auf erneuerbare Energieträger. Bei der Umstellung auf Erneuerbare spielen u. a. Biomasse, Solarnutzung, Geothermie und Umgebungswärme eine Rolle. Zudem wird in der Wärmestrategie für Österreich von Bundesländern und Bund auf eine weitere Reduktion des Energieverbrauchs gesetzt.
Wärme aus der Erde nutzen
Als Erdwärme bezeichnet man die unterhalb der festen Erdoberfläche in Gesteins- und Erdschichten sowie in unterirdischen Wasserreservoirs gespeicherte Wärmeenergie. Geothermie stellt eine umweltschonende und nachhaltige Technologie zur Nutzung dieser Wärmequellen dar. Die im Untergrund gespeicherte Wärme kann zum Heizen und Kühlen sowie zur Erzeugung von elektrischem Strom oder in der kombinierten Kraft-Wärme-Kopplung eingesetzt werden und bietet sich vor allem für lokale Energieversorgungskonzepte an. Zunehmende Bedeutung gewinnt die Technologie auch für die saisonale Speicherung von Wärme im Untergrund. Bei der geothermischen Wärmeversorgung wird grundsätzlich zwischen zumeist mit Wärmepumpen unterstützten Niedertemperatur-Anwendungen (Quellentemperatur < 30 °C) und direkten Wärmeanwendungen mit Temperaturen > 60 °C unterschieden.
Volkswirtschaftliche Effekte
Im Rahmen einer Studie2 des Energieinstituts der JKU Linz wurden die Effekte auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch Investitionen in erneuerbare Energien evaluiert. Für die oberflächennahe Geothermie wurde ein Szenario mit einem zusätzlichen Ausbau von ca. 3 TWh pro Jahr bis 2030 betrachtet. Dieses zeigte (unter Berücksichtigung des angenommenen Ausbaupfads und daraus resultierender Investitionen und Substitution von Importen fossiler Energie) für 2030 mehr als 12.000 zusätzliche Beschäftigte sowie eine zusätzliche Erhöhung des BIP um 0,9 Mrd. Euro. In Simulationen zur Hydrogeothermie wurde sowohl die Nutzung natürlicher Thermalwasservorkommen für Direktwärme und Strom als auch für saisonale Wärmespeicher mit einem zusätzlichen Ausbau um 2,1 TWh bis 2030 betrachtet. Hier ergeben sich für 2030 mehr als 2.000 zusätzliche Beschäftigte sowie eine zusätzliche Erhöhung des BIP um 0,1 Mrd. Euro.
Oberflächennahe Geothermie
Bei der oberflächennahen Geothermie wird Wärme- oder Kühlenergie mit Hilfe von Erdwärmesonden, Flächenkollektoren oder in Form von direkter thermischer Grundwassernutzung aus den oberen Erd- und Gesteinsschichten gewonnen. Der Untergrund wird dabei bis zu einer Tiefe von ca. 400 Metern und Temperaturen von ca. 30 °C genutzt. Erdwärmesonden- und kollektoren sind Rohrsysteme mit zirkulierendem Wasser, über die dem Boden Wärme entzogen oder zugeführt werden kann. Gekoppelt mit einer Wärmepumpenanlage wird diese zur Bereitstellung von Raumwärme und Warmwasser oder auch zur Kühlung von Gebäuden verwendet. Die direkte thermische Nutzung des Grundwassers ist unter der Voraussetzung, dass ein oberflächennaher, ergiebiger Grundwasserkörper vorhanden ist (abseits von Grundwasserschutzgebieten) ebenfalls möglich. Erdwärme kann so dazu beitragen, fossile Energieträger bei der Wärme- und Kälteversorgung zu ersetzen.
Tiefe Geothermie
Tiefengeothermische Anlagen nutzen die Wärme aus einer Tiefe von etwa 1.500 bis 5.000 Metern mit Temperaturen von über 60 °C. Man unterscheidet hydrothermale Anlagen, die den Energiegehalt von warmem bis heißem Thermalwasser befördern sowie petrothermale Systeme, die Wärme aus tief liegenden trockenen, bis kaum wasserführenden Gesteinsschichten nutzbar machen. Die Wärme aus dem tiefen Untergrund kann zur Wärmeversorgung sowie zur Erzeugung von Strom genutzt werden. Bei einem hydrothermalen System wird mithilfe einer Tiefenbohrung heißes Wasser an die Oberfläche transportiert. Die thermische Energie wird über einen Wärmetauscher z. B. an ein Fernwärmenetz abgegeben. Anschließend wird das abgekühlte Wasser wieder in den Untergrund zurückgeführt. Ein petrothermales System benötigt dicht gelagerte Sedimentgesteine oder Kristallingestein in Tiefen mit Temperaturen von > 150 °C. Die Nutzung der Wärme des heißen Gesteins erfolgt durch Aufbrechen von vielen kleinen Klüften, um neue Fließwege für künstlich eingebrachtes Wasser zu schaffen. Das durch das neue Kluftsystem zirkulierende aufgeheizte Wasser wird über eine Förderbohrung an die Oberfläche gebracht und über eine Injektionsbohrung wieder in das Reservoirgestein zurück transportiert.
Anwendung in Österreich
In Österreich sind derzeit ca. 90.000 Erdwärme gekoppelte Wärmepumpenanlagen in Betrieb, die in Summe ca. 2,3 TWh Wärme (inkl. elektrischer Anteil der Wärmepumpe) produzieren. Im Bereich der geothermischen Direktnutzung von natürlich vorhandenen Thermalwässern gibt es in Österreich aktuell 10 Wärmegewinnungsanlagen, die in Summe ca. 300 GWh Wärme produzieren. An zwei Standorten wird auch elektrische Energie, gekoppelt mit der Wärmeanwendung, im Ausmaß von ca. 2,5 GWhel gewonnen.3 Bei den geothermischen Niedertemperaturanwendungen spielt auch die Kühlung eine zunehmend wichtige Rolle. Hierzu liegen aktuell noch keine Marktzahlen vor. Im Bereich der petrothermalen Energiegewinnung besteht großer Forschungsbedarf und es gibt in Österreich aktuell noch keine Pilotanlagen.
Potenziale bis 2040
Folgende technische Nutzungspotenziale der Geothermie für die Wärmeversorgung bis 2040 wurden in verschiedenen Studien für Österreich identifiziert4:
> Oberflächennahe Geothermie: 15 TWh im Bereich geothermischer Niedertemperaturanwendungen inkl. Wärmespeicher. Limitierende Faktoren sind hier die Verfügbarkeit von Freiflächen zur Errichtung von Geothermieanlagen sowie
von entsprechenden Dienstleistungsanbietern (Bohrfirmen, Planungsbüros)
> Tiefe Geothermie: 9,2 TWh im Bereich geothermischer Hochtemperaturanwendungen inkl. Wärmespeicher. Dies umfasst die Nutzung bereits bekannter Heißwasservorkommen sowie die Errichtung erster Pilotanlagen zur Nutzung heißer, jedoch kaum bis nicht wasserführender Gesteine (Hot Dry Rock Technologie).
Zusätzlich zur geothermischen Wärmegewinnung werden Potenziale zur Gewinnung von elektrischer Energie mittels KWK-Anlagen im Umfang von 0,7 TWhel geschätzt.
In dieser Ausgabe stellen wir einige aktuelle Projekte aus den Programmen des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) und des Klima- und Energiefonds zur Erforschung der Geothermie in Österreich vor.
„Die Geothermie ist eine ungemein vielseitige, aber schlafende Energiegigantin, die nun aufgeweckt werden muss. Die 2020 Energy Technology Perspectives der IEA5 zeigen auf, dass die Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 zwingend auf die Nutzung der Geothermie für die Wärme- und Kälteversorgung für Haushalte, Gebäude und Industrie angewiesen ist. Die Umsetzung von Europas Green Deal ist ebenfalls nur dann erfolgreich, wenn Geothermie einerseits mehr genutzt wird und andererseits stärker in lokale, regionale und überregionale Energiesysteme integriert wird, insbesondere in Verbindung mit unterirdischer Energiespeicherung. Forschung und Innovation tragen dazu bei, dass Kosten gesenkt, der Mehrwert erhöht und mehr Industrieakteure in die Entwicklung und Nutzung der Geothermie einsteigen werden. Österreich hat starke nationale Kompetenzen in der geothermischen Wertschöpfungskette, die auch international eingesetzt werden können. Und Österreichs Akteure können umgekehrt aus europäischen und internationalen Erfahrungen schnell und effizient Lehren ziehen, damit die Geothermie ihrer Rolle in einem klimaneutralen Österreich gerecht wird.“
Dr. Gunter Siddiqi
(ehem.) Energieforschung Schweizer Bundesamt für Energie und
Vorsitzender der IEA Renewable Energy Working Party
1faktencheck-energiewende.at/fakt/ohne-waermewende-keine-energiewende
2 Wirtschaftswachstum und Beschäftigung durch Investitionen in Erneuerbare Energien, Energieinstitut an der JKU Linz, Linz, Oktober 2020
3 Geologische Bundesanstalt, www.geologie.ac.at
4 Verein Geothermie Österreich, www.geothermie-oesterreich.at
5 www.iea.org/reports/energy-technology-perspectives-2020