Nachhaltige, energieeffiziente Bauweisen haben sich in Österreich in den letzten Jahren vor allem im Wohnbau etabliert. Der Niedrig-energie- und Passivhausstandard ist im Bereich Neubau und Sanierung von Ein- und Mehrfamilienhäusern bereits weit verbreitet. Bei Bürogebäuden ist energieeffizientes Planen und Bauen bisher noch nicht Standard. Hier hält sich vielfach die Ansicht, dass innovative, umweltfreundliche Gebäudetechnologien wirtschaftlich nicht realisierbar sind. Die energetische Situation von Bürogebäuden unterscheidet sich grundlegend von der in Wohngebäuden. Büros sind dichter mit Personen belegt und mit vielen, Wärme abgebenden Geräten ausgestattet. Beleuchtung, Raumtemperatur und Luftqualität müssen besonderen Kriterien entsprechen und an die jeweiligen Arbeitserfordernisse angepasst werden.
Weltweit erstes Plus-Energie-Bürohochhaus
Dass hohe Energiestandards auch in großen, komplexen Bauprojekten mit Büronutzung technisch und wirtschaftlich umsetzbar sind, zeigt das 2014 fertiggestellte Bürohochhaus der Technischen Universität (TU) Wien am Getreidemarkt. In zweijähriger Arbeit wurde das ehemalige Chemiehochhaus der TU Wien vollständig saniert. Entstanden ist dabei ein richtungsweisendes „Haus der Zukunft“: Österreichs größtes Plus-Energie-Bürogebäude, in dem zahlreiche zukunftsweisende Gebäudetechnologien demonstriert werden.
Im Rahmen des Generalsanierungspakets der österreichischen Bundesregierung für die Erneuerung von Universitäten wurde der vorher als Büro- und Laborgebäude genutzte Bauteil als Gebäude mit vorwiegender Büro-Nutzung in Passivhausstandard saniert. Die Sanierung ist Teil des Projekts Univercity 2015, das acht Neubauten und Sanierungen auf dem Areal der TU Wien umfasst.
Das gesamte Gebäude hat eine Nettogrundfläche von 13.500 m2und 11 Stockwerke und bietet ca. 800 MitarbeiterInnen und StudentInnen der TU Wien hochwertige Arbeitsplätze. Es ist weltweit das erste Bürohochhaus mit dem Anspruch, mehr Energie zu erzeugen, als für den Gebäudebetrieb und für die Nutzung benötigt wird. Durch zahlreiche Maßnahmen zur energetischen Optimierung werden hier nach der Sanierung bis zu 90 Prozent der vorher im Bestandsgebäude verbrauchten Energie eingespart.
Ausgangslage
Das ehemalige „Chemiehochaus“ wurde Anfang der 1970er Jahre erbaut und war Sitz der Fakultät für Technische Chemie. Der Gebäudekomplex besteht aus zwei Teilen, dem eigentlichen Hochhaus und einem zweiten, dem Hochhaus vorgelagerten Hörsaal- und Bibliotheksgebäude. Das Hochhaus hatte vor der Sanierung eine vorgehängte Betonfertigteilfassade mit durchgehenden Fensterbändern. Die Lüftungsanlagen des Altbestandes erfüllten die funktionellen Notwendigkeiten des Laborgebäudes mit sehr hohen Luftwechselzahlen. Die Beheizung der Räume erfolgte über Radiatoren.
Neues Nutzungskonzept
Mit der Sanierung kam es zu einem Wechsel der NutzerInnen. Das sanierte Hochhaus wird nun von der Fakultät für Maschinenbau als Bürogebäude mit studentischen Bereichen genutzt. Die chemischen Laborräume wurden in einem neugebauten Trakt der TU Wien untergebracht. Im Erdgeschoß stellt die Hauptaula mit Aufenthaltsbereichen den Eingangsbereich dar. Im 1. und 2. Obergeschoß wurden eine neue Bibliothek und Seminarräume eingerichtet. Die Bürobereiche liegen im 3. bis 10. Obergeschoß. In den Untergeschoßen befinden sich die Zugänge zum sanierten Audimax sowie Technik- und Lagerräume, Werkstätten und Sanitärräume. Die Haustechnikzentrale im Dachgeschoß wurde zu einem Veranstaltungsraum umgebaut. Zwei höchsteffiziente Lüftungsanlagen für die Bürobereiche liegen im 6. und 7. Obergeschoß. Hörsäle, Bibliothek und der Veranstaltungsraum werden von Standard-Lüftungsanlagen versorgt.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Das Forschungs- und Bauprojekt ist ein gelungenes Beispiel für interdisziplinäre Vernetzung und integrale Planung. Von der Konzeption bis zur praktischen Umsetzung kooperierten über 20 PartnerInnen aus Forschung und Industrie. Die Generalplanung übernahm die ARGE Architekten Hiesmayr-Gallister-Kratochwil. Der gesamte Planungs-, Bau- und Inbetriebnahmeprozess wurde durch ExpertInnen der TU Wien (Forschungsbereich für Bauphysik und Schallschutz, Univ.-Prof. DI Dr. Thomas Bednar) und den Bauphysik-PlanerInnen der Schöberl & Pöll GmbH wissenschaftlich begleitet.
Im Rahmen des Planungsprozesses wurden über 9.000 Komponenten optimiert und eine Vielzahl innovativer Lösungen in ein Gesamtkonzept integriert. Großen Wert legte das Team auf die Multiplizierbarkeit der neuen Entwicklungen. Die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt gelten für die TU Wien als Standard für kommende Projekte und Bauvorhaben und werden bereits jetzt an allen TU-Standorten angewandt (z. B. effiziente 7-W-Computer, Nachtabschaltung technischer Geräte).
Das Projekt wurde von der TU Wien in Kooperation mit dem Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (bmwfw) und der BIG Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H. realisiert. Die Forschungs- und Technologiekosten wurden im Rahmen des Programms „Haus der Zukunft“ durch das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) unterstützt. Gefördert wurde die Sanierung auch von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), der Kommunalkredit Public Consulting (KPC) und der Stadt Wien (Abteilung Energieplanung MA 20).
Auszeichnungen
> Staatspreis „Umwelt- und Energietechnologie 2015“
> klimaaktiv GOLD-Plakette des BMLFUW
> ÖGNB-Bewertung TQB mit 986 von 1.000 Punkten
> „EUROSOLAR AUSTRIA“ Österreichischer Solarpreis 2015
> „Das innovative Gebäude 2015“ (gemeinsam mit dem LISI-Haus, TU Wien) Plattform „Innovative Gebäude“
„In regelmäßigen Planungsbesprechungen und Workshops erfolgte die inhaltliche Erarbeitung des Projektes mit über 20 Planungsbeteiligten und Fachkompetenzen. Ergänzend zu herkömmlichen Planungsprozessen erfolgte über die wissenschaftliche Begleitung durch die TU Wien die laufende Überprüfung der angedachten Maßnahmen über unterschiedliche Computersimulationen und an virtuellen Gesamtmodellen. Die wesentlichen energetischen Komponenten wurden final noch in weitere Teilbereiche gegliedert, optimiert und auf Wirtschaftlichkeit überprüft. Gemeinsam mit den ausführenden Firmen wurden Detailausbildungen vor Ort auf Ausführbarkeit geprüft und nachgebessert, sodass die hohen theoretischen Ansätze aus dem Modell annähernd auch in der Realität abgebildet werden konnten.“
Architekt DI Gerhard Kratochwil,
ARGE Architekten Hiesmayr-Gallister-Kratochwil
„Hier an der TU Wien konnten wir erstmals von der Idee bis zur Nutzung den gesamten Prozess begleiten. Innovationen vom Arbeitsplatz über die Gebäudetechnik bis hin zur Bautechnik wurden so kombiniert, dass eine wirtschaftliche Lösung gefunden werden konnte. Diese sichert eine hohe Qualität der Arbeitsplätze und ermöglicht es gleichzeitig, über das Jahr mehr Energie zu gewinnen, als für den Gebäudebetrieb und die Büronutzung notwendig ist. Der Schlüssel zu Wirtschaftlichkeit liegt dabei in der konsequenten Vermeidung unnötiger Energieverbräuche und einem Ansatz, Technik nur dort zu verwenden, wo sie wirklich den Menschen hilft.“
Univ.-Prof. DI Dr. Thomas Bednar
TU Wien, Institut für Hochbau und Technologie