Die Papierindustrie zählt neben der Stahl- und Zementindustrie zu den energieintensiven Industrien. Seit Jahrhunderten basiert die Zellstoff- und Papierindustrie auf Biomasse. Die Verfahren zur Aufschließung von Biomasse und Behandlung von Altpapier wurden laufend verbessert, sie erfordern aber nach wie vor einen hohen Energieeinsatz. Um die europäische Zellstoff- und Papierindustrie in Richtung „low carbon bioeconomy“ zu entwickeln, werden neue Technologien benötigt, die zu Energieeinsparungen und einer Reduktion von CO2-Emissionen führen. Ein Ansatz ist die Erforschung von neuen Verfahren, die auf kostengünstigen, biologisch abbaubaren Lösungsmitteln, den sogenannten DES (Deep Eutectic Solvents) basieren und es ermöglichen, Holz mit vergleichbar minimalem Energieaufwand in Lignin und Zellulose zu separieren.
Im Rahmen der europäischen Joint Technology Initiative „Biobased Industries“ (JU BBI) untersuchen europäische ForscherInnen und Unternehmen im Projekt PROVIDES (Grant Agreement NO 668970) den Einsatz dieser eutektischen Lösungsmittel zur selektiven Entfernung von Holzinhaltsstoffen unter energetisch günstigeren Bedingungen.
Bio-based Industries (JU BBI)
Das Joint Undertaking (JU) „Bio-based Industries“ (BBI) wurde 2014 als Joint Technology Initiative im europäischen Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 etabliert. Die Initiative befasst sich schwerpunktmäßig mit der Verwertung und Umwandlung nicht-essbarer Teile von Pflanzen, wie land- und forstwirtschaftliche Rückstände und Holz, sowie biologisch abbaubarer Abfälle in diverse biobasierte Produkte und Biokraftstoffe. Für den Zeitraum 2014-2020 ist für diese JTI ein Investitionsvolumen von 3,7 Milliarden Euro vorgesehen.
Das internationale Verpackungs- und Papierunternehmen MONDI ist als Partnerunternehmen an dieser Forschungsinitiative beteiligt. Im Projekt werden neuartige Verfahren entwickelt, die mit geringeren Temperaturen und Drücken arbeiten und umweltfreundliche Lösungsmittel verwenden. Stark eutektische Lösungsmittel (Deep Eutectic Solvent – DES) stellen eine Alternative zu herkömmlichen Lösungsmitteln dar und können Zellwandbestandteile von verschiedenen Lignozellulosen bei niedrigen Temperaturen (unter 100 °C) lösen. DES bestehen aus natürlichen Stoffen (Amide, Zucker, Säuren) und werden durch Vermischen von mindestens einem Protonendonator (HBD) und mindestens einem Protonenakzeptor (HBA) hergestellt. Die Lösungsmittel sind mischbar mit Wasser, biologisch abbaubar, kaum flüchtig und kostengünstig herstellbar. DES-Lösungsmittel können die gängigen Aufschlussverfahren ersetzen. Sie haben hohes Potenzial, die Erzeugung von Zellstoff von Grund auf umzugestalten und einen Produktionsprozess mit niedrigerem Energieverbrauch und geringen Emissionen und Rückständen zu ermöglichen.
Ziel ist es:
> die Energieintensität des Verfahrens um mindestens 40 % gegenüber herkömmlichen Zellstoffherstellungsverfahren zu verringern
> die Investitionskosten um 50 % gegenüber derzeitigen Zellstoffanlagen zu reduzieren. Dies ist aufgrund des druckfreien Aufbaus und der vereinfachten Rückgewinnung der Chemikalien erreichbar
> die Marktstellung derzeitiger aus Holz gewonnener Erzeugnisse (z. B. Papier, Karton) zu stärken und neue Anwendungen mit hohem Mehrwert z. B. in der Textil- und der chemischen Industrie zu entwickeln
Aktuell werden im Projekt PROVIDES verschiedene DES-Lösungsmittel getestet, um einerseits Lignin aus Lignozellulose herauszulösen und andererseits Altpapier zu dekontaminieren, d. h. Druckfarben und Verunreinigungen wie z. B. Klebstoffreste zu entfernen sowie Zellulose aufzulösen. Dabei wurden viele neue Kombinationen aus HBD (Protonendonatoren) und HBA (Protonenakzeptoren) entwickelt, um stark eutektische Lösungsmittel zu bilden. Erstmals wurde ein hydrophobes DES untersucht. Hydrophobe DES mischen sich nicht mit Wasser und machen es bedeutend leichter, einzelne Bestandteile aus einem Wasser-Zellstoff-Gemisch herauszulösen. Weiters untersuchen die ForscherInnen vor- und nachgelagerte Techniken, um die Trennverfahren wirksamer zu machen. Effiziente Rückgewinnungsverfahren, sowohl für die Lösungsmittel als auch für die gelösten Bestandteile sollen ebenfalls entwickelt werden.
Erste Berechnungen zur Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit des gesamten Verfahrens zur Abtrennung von Lignin wurden bereits durchgeführt. Anhand einer Liste kritischer Aspekte und offener Forschungsfragen konnte der weitere Fahrplan bis 2030 erstellt werden.
DI Leo Arpa,
Head of Research & Development Paper, Mondi Group