Aufgrund des steigenden Anteils erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung könnte es in Zukunft notwendig sein, steuerbare Kraftwerke als Reservekapazitäten bereitzuhalten, um Versorgungsengpässe zu überbrücken. Im derzeitigen Strommarkt wird nur die tatsächlich gelieferte Menge an Strom und nicht die Bereitstellung von Kapazität (Leistung) monetär vergütet. Man spricht daher vom „Energy-only-Markt“. Mit zunehmendem Anteil erneuerbarer Energien und aufgrund sinkender Strompreise im Großhandel wird der Betrieb vieler konventioneller Kraftwerke zunehmend unrentabel, so dass es zukünftig zu einem Unterangebot an gesicherter Leistung kommen könnte.
Aktuell wird die Einführung von sogenannten „Kapazitätsmärkten“ am Strommarkt diskutiert, bei der ein Handel mit bereitgestellter gesicherter Leistung statt mit verbrauchter Strommenge stattfindet. Einen alternativen bzw. ergänzenden Ansatz dazu könnten intelligente Stromnetze darstellen. Durch die Aktivierung von verbrauchs- und erzeugerseitiger Flexibilität im Smart Grid (z. B. durch Lastmanagement und die Nutzung von Speichern) könnte der Zubau von Backupkapazitäten möglichst gering gehalten werden.
Simulation des Energiesystems 2050
Am Institut für Energiesysteme und Elektrische Antriebe der Technischen Universität (TU) Wien wurde untersucht, ob durch Lastflexibilisierung zukünftig notwendige Backupkapazitäten reduziert werden können. Dazu wurde ein Energiesystem für Deutschland und Österreich im Jahr 2050 simuliert, welches einen um 88 % reduzierten CO2-Ausstoß im Vergleich zu 2011 im Strom- und Wärmesektor aufweist. Zur Ermittlung der nötigen Lastflexibilisierung kam das an der TU Wien entwickelte Simulationsmodell „HiREPS“ zum Einsatz. Das Modell optimiert den notwendigen Mix aus erneuerbaren und fossilen Kraftwerkskapazitäten. Basis bilden detaillierte Stromerzeugungs-, Verbrauchs- und Speicherprofile sowie zukünftige Technologiekosten und Vorgaben an die CO2-Reduktion.
Lastflexibilisierung im Smart Grid
Die Analysen zeigen, dass durch Aktivierung der vorhandenen Potenziale im Bereich des industriellen Lastmanagements sowie durch eine flexible Kopplung des Strom- und Wärmesektors (Power-to-Heat) in Deutschland und Österreich ein stromseitiger Kapazitätseinsparungseffekt von ca. 7 GW zu erreichen wäre. Dazu sind Lastflexibilisierungen von ca. 5,8 GW im industriellen sowie von ca. 58 GW im Power-to-Heat Bereich erforderlich. Die notwendigen Backupkapazitäten könnten laut den Berechnungen insgesamt um etwa 5 % reduziert werden. Das größte Potenzial für Kapazitätseinsparungen durch industrielles Lastmanagement wurde bei Chlor- und Stahlanlagen ermittelt.
Wirtschaftlichkeit
Im simulierten Energiesystem 2050 würde durch die eingesparten fossilen Kraftwerkskapazitäten ein jährlicher Deckungsbeitrag von etwa 3,8 Milliarden Euro entstehen. Dieser könnte für die Implementierung der neuen Technologien zur Systemflexibilisierung verwendet werden. Bei industriellen Anwendungen und großen Power-to-Heat Anlagen spielen die IKT-Infrastrukturkosten nur eine geringe Rolle. Hier ist die Abgeltung der variablen Kosten von Lastverschiebungen oder Lastabwürfen der zentrale Kostenfaktor. Im kleinen Leistungsbereich (z. B. bei Wärmepumpen in Haushalten) haben die IKT-Infrastrukturkosten allerdings großen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit. Die synergetische Nutzung der IKT-Technologien durch weitere Dienstleistungen (z. B. Informations- oder Automatisierungsdienste) könnte hier die Effizienz des Gesamtsystems erhöhen.
>> www.nachhaltigwirtschaften.at/e2050/publikationen/view.html/id1323
„Das Potenzial des Einsatzes von Flexibilität – sei es durch stromseitige Lastverschiebungen oder auch durch Strom-/Wärmekopplung – wird im Kontext von Smart Grids oft als die Lösung zur Umsetzung der Energiewende argumentiert. Das Projekt „Smart Grid Backup“ hat jedoch gezeigt, dass vorhandene Restriktionen z. B. aus Produktionsprozessen diese Potenziale stark limitierten. Flexibilität ist daher lediglich als ein wichtiger Baustein neben anderen Lösungen (z. B. Effizienz, Speicher und/oder Reservekraftwerke) zu qualifizieren.“
Dr. Wolfgang Prüggler,
MOOSMOAR Energies OG, ehemaliger Projektleiter TU Wien