Die Automobil- und Zulieferindustrie zählt zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen innerhalb der Europäischen Union mit einem Anteil von mehr als 10 % an der Beschäftigung im produzierenden Gewerbe in der EU und etwa 4 % des europäischen Bruttoinlandprodukts.
Quelle: ACEA, (2017), The Automobile Industry Pocket Guide 2017-2018
Um die CO2-Emissionen in Industrie und Gewerbe langfristig zu reduzieren, muss der Energiebedarf sinken und der Einsatz erneuerbarer Energien zunehmen. Solare Prozesswärme bietet viele Möglichkeiten, um industrielle Abläufe mit erneuerbarer Energie zu unterstützen und den Bedarf an fossilen Energieträgern zu reduzieren. Eine wirtschaftliche Umsetzung ist vor allem dort möglich, wo Temperaturen unter 100 °C benötigt werden, keine Abwärme genutzt werden kann und ein konstanter Wärmebedarf zumindest in den sonnenreichen Monaten gegeben ist. Die Integration solarer Wärme bietet sich z. B. für Wärmenetze, beheizte Bäder, Maschinen und Tanks, Trocknungsprozesse sowie zur Warmwasserbereitstellung und für raumlufttechnische Anlagen an. Solarwärme ist CO2-frei und kann mit anderen Wärmeerzeugern, wie Wärmepumpen, Blockheizkraftwerke oder Gas-, Öl- und Biomassekesseln kombiniert werden. Trotz des hohen Potenzials entwickelt sich der Markt für diese Technologie bisher nur langsam.
Internationale Forschungskooperation
2016 wurde im Rahmen der D-A-CH Initiative das deutsch-österreichische Kooperationsvorhaben SolarAutomotive unter Leitung von AEE INTEC und der Universität Kassel (Fachbereich Solar-und Anlagentechnik)* gestartet. Ziel der länderübergreifenden Zusammenarbeit ist es, die Integration von solarer Prozesswärme in der Automobilindustrie sowie in der vorgelagerten Zulieferindustrie zu forcieren. Durch Anwendungsbeispiele und die Realisierung von Leuchtturmprojekten werden Impulse gesetzt und Potenziale für die CO2-freie Produktion aufgezeigt. Da die Branche sehr viele unterschiedliche Produktionszweige und -verfahren umfasst, können die Erkenntnisse auf andere Industriesektoren (wie z. B. Lebensmittel und Getränke, Textil, Leiterplatten, Metallverarbeitung) übertragen werden. Zunächst wurden 12 Subbranchen der Automobil- und Zulieferindustrie identifiziert und jene Prozesse ermittelt, die aufgrund ihrer Prozessanforderungen für die solarthermische Versorgung geeignet sind. Zu den Schlüsselprozessen gehören u. a. Galvanikprozesse in der Metalloberflächenbehandlung, Luftkonditionierungsschritte in der Fahrzeugindustrie sowie Wasch- und Färbeprozesse in der Textilindustrie.
Basierend auf dem Endenergieverbrauch der europäischen Industrie ergibt sich unter der Annahme, dass der gesamte industrielle Wärmebedarf unter 200 °C solarthermisch versorgt werden kann, ein CO2-Einsparungspotenzial von 25 Millionen Tonnen pro Jahr. Rein in der Automobilindustrie (ohne Zulieferindustrie) bedeutet das 4,2 Mio.m² installierte Kollektorfläche und eine Leistung von 2,4 Gigawatt Solarwärme für industrielle Prozesse.
Fallstudien
Im Rahmen von SolarAutomotive wurden 25 detaillierte Fallstudien in unterschiedlichen Ländern durchgeführt und mögliche Integrationspunkte für die solarthermische Versorgung verschiedener Produktionsprozesse identifiziert. Die detaillierten Simulationen berücksichtigen zahlreiche Prozessparameter (Temperaturniveau, Spreizung, Aufheizraten, etc.) sowie prozesstechnische Besonderheiten und die Produktqualität. Daraus ergibt sich die Wahl der geeigneten Kollektortechnologie und -fläche, der Speicher, des Aufstellungsorts und der Ausrichtung der Anlage. Das große Potenzial der solaren Prozesswärme für die Automobil- und Zulieferindustrie konnte durch die Fallstudien bestätigt werden. Die Analysen zeigen sowohl technisch als auch wirtschaftlich sinnvolle Anlagenkonzepte in unterschiedlicher Größe (solarthermische Flächen zwischen 50 m² und 3.200 m²). Nach positiver innerbetrieblicher Evaluierung sollen die Konzepte im nächsten Schritt realisiert werden.
„Wir verfolgen bei AT&S die Vision, eine nachhaltige Energieversorgung an allen Standorten umzusetzen. Und was liegt da näher als Sonnenenergie zu nutzen, um diese Vision zu realisieren! Das ‚SolarAutomotive‘-Projekt hat eine Reihe von technisch interessanten Möglichkeiten zum Einsatz solarer Prozesswärme aufgezeigt, die wir gerade evaluieren und gegebenenfalls in unser Energiekonzept integrieren werden.“
Ing. Heinz Moitzi
Chief Operations Officer (COO) AT&S
SolarAutomotive Guideline
Auf Basis der Ergebnisse wurde ein Leitfaden erstellt, der die Verbreitung von solarer Prozesswärme in der Automobil- und Zulieferindustrie unterstützen soll. Neben Informationen zu den Einsatzmöglichkeiten und Integrationskonzepten, werden einfache, maßgeschneiderte Werkzeuge für die Auslegung und wirtschaftliche Bewertung einer Anlage zur Verfügung gestellt. Ein Vorauslegungstool sowie ein detailliertes Simulationstool (SolarSOCO) ermöglichen die schnelle bzw. die detaillierte Berechnung.
www.energieforschung.at/projekte/847/solare-prozesswaerme-fuer-die-automobil-und-zulieferindustrie
* PROJEKTPARTNER:
S.O.L.I.D. GmbH, KPV Solar GmbH, Stiftung für Ressourceneffizienz und Klimaschutz (STREKS), Fachbereich Umweltgerechte Produkte und Prozesse (UPP) an der Universität Kassel