Die Industrie zählt weltweit zu den Sektoren mit dem größten Energieverbrauch und hohen CO2-Emissionen.
In Österreich macht der energetische Endverbrauch von Industrie und produzierendem Gewerbe mit 94 TWh rund 30 % des Gesamtenergieverbrauchs aus.1 61 % davon wird in der energieintensiven Industrie verbraucht, zu der die Eisen- und Stahlproduktion, die mineralverarbeitende Industrie, die Chemische Industrie und die Papier- und Zellstoffindustrie gehören. Die Treibhausgasemissionen im Sektor Industrie betrugen im Jahr 2016 in Österreich 25,2 Mio. Tonnen CO2-Äquivalent. Das bedeutet eine Zunahme von rund 15 % im Vergleich zu 1990.2
Europäische Klimaschutzziele
Ziel der europäischen Klimapolitik ist es, bis 2050 eine wettbewerbsfähige und klimaneutrale Wirtschaftsweise zu erreichen. Im November 2018 legte die EU-Kommission eine langfristige strategische Vision vor, die nahezu alle EU-Politikbereiche umfasst und mit den Zielen des Pariser Übereinkommens3 im Einklang steht. In der Strategie wird die Notwendigkeit von Investitionen in technologische Lösungen und abgestimmte Maßnahmen in Schlüsselbereichen wie Industriepolitik, Finanzwesen und Forschung formuliert.4
Der europäische Strategieplan für Energietechnologie (SET-Plan) zielt auf die Entwicklung und Implementierung CO2-armer Technologien und die Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit ab. Im SET-Plan Action 6 „Continue efforts to make EU industry less energy intensive and more competitive“5 werden Zielsetzungen, Maßnahmen und Aktivitäten für eine kohlenstoffarme, wettbewerbsfähige Industrie definiert.
Technologievorsprung durch Innovation
Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze können in Europa nur durch eine starke industrielle Basis gewährleistet werden. Ziel der europäischen Politik ist es daher, die Reindustrialisierung in den Mitgliedsländern zu forcieren und den Industriestandort Europa langfristig abzusichern. Grüne Technologien für eine CO2-arme Produktion werden weltweit zunehmend nachgefragt. Innovationen für klimaschonende Produktionsweisen tragen dazu bei, den Technologievorsprung und die Wettbewerbs-fähigkeit der europäischen Industrie zu erhöhen. Gleichzeitig verringert der Einsatz erneuerbarer Energien die Abhängigkeit heimischer Unternehmen vom Import fossiler Energieträger.
Forschung und Entwicklung
Zur Realisierung der europäischen Klimaschutzziele muss der Industriesektor die prozessbedingten Treibhausgasemissionen stark reduzieren. Obwohl in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt wurden, sind für die weitgehende Dekarbonisierung der Industrie weitere, teils radikale Innovationen und der Aufbau neuer Infrastrukturen erforderlich. Forschung und Industrie in Österreich entwickeln und testen laufend neue Konzepte und sogenannte „Breakthrough Technologies“ für die CO2-arme Produktion. In einigen Sektoren (z. B. in der Eisen- und Stahlindustrie) zählen österreichische Industriebetriebe zu den Vorreitern für klimaschonende Produktionsverfahren. Die Energieeffizienz in industriellen Prozessen wird laufend gesteigert. Ziel ist es zunehmend, erneuerbare Energie zu integrieren und den Energiebedarf von industriellen Anlagen mit der Energieversorgung aus fluktuierenden, erneuerbaren Quellen abzustimmen.
Diese Ausgabe stellt richtungsweisende Projekte zum Thema „Dekarbonisierung der Industrie“ vor, die im Rahmen der Programme des Klima- und Energiefonds und des Bundesministeriums für Verkehr und Innovation (BMVIT) unterstützt werden.
STUDIE
Energieinfrastruktur für 100 % erneuerbare Energie in der Industrie
In der Studie IndustRiES des AIT Austrian Institute of Technology wurde im Auftrag des Klima- und Energiefonds untersucht, wie die österreichische Industrie zu 100 % mit erneuerbarer Energie versorgt werden kann und welche Anforderungen an die Energieinfrastruktur (inkl. Speichersysteme für die Bereitstellung von Flexibilitäten) daraus resultieren. Für drei verschiedene Szenarien (Basis, Effizienz und Umbruch) wurden umfangreiche Analysen durchgeführt. Das Umbruch-Szenario beinhaltet auch die Verfahrens-umstellung des Sektors Eisen- und Stahlerzeugung auf Direktreduktion mit Wasserstoff.
Je nach Szenario liegt der Endenergieverbrauch der Industrie zwischen 82 TWh und 108 TWh. Die Ergebnisse zeigen, dass der industrielle Endenergieverbrauch mit den in Österreich zur Verfügung stehenden Potenzialen an erneuerbaren Energien (231 TWh) in allen Szenarien bilanziell gedeckt werden kann. Die Potenziale reichen aber nicht aus, um den Endenergieverbrauch der restlichen Sektoren (Verkehr, Öffentliche und Private Dienstleistungen, Private Haushalte und Landwirtschaft), der insgesamt 220 TWh ausmacht, zu decken. Es ergibt sich je nach Szenario eine Deckungslücke in der Höhe von 71 bis 97 TWh. Die Studie zeigt auch, dass die Elektrifizierung auf Basis erneuerbaren Stroms in Zukunft eine Schlüsselrolle spielen wird. Der elektrische Energiebedarf der Industrie liegt je nach Szenario zwischen 32 TWh (Effizienz) und 68 TWh (Umbruch). Im Umbruch-Szenario steigt die Stromnachfrage der Industrie gegenüber dem Status Quo (30 TWh) um mehr als das Doppelte.
Wichtige energiepolitische Maßnahmen auf dem Weg zur schrittweisen Dekarbonisierung des Industriesektors sind u. a. ein verstärkter, unverzögerter Ausbau der erneuerbaren Energien, die Schaffung integrierter europäischer Energie-infrastrukturen sowie die Nutzung neuer Optionen zur Kopplung der Energiesektoren.
Link zur Studie: bit.ly/2lWW2Ng
1 Studie IndustRiES – Energieinfrastruktur für 100 % erneuerbare Energie in der Industrie, AIT Austrian Institute of Technology im Auftrag des Klima- und Energiefonds, 2019
2 Umweltbundesamt, Klimaschutzbericht 2018, www.umweltbundesamt.at/aktuell/publikationen/publikationssuche/publikationsdetail/?pub_id=2258
3 Im Pariser Abkommen von 2015 haben sich 195 Länder geeinigt, den Temperaturanstieg deutlich unter 2 °C zu halten und Anstrengungen zu unternehmen, den Anstieg auf 1, 5 °C zu begrenzen.
4 ec.europa.eu/clima/policies/strategies/2050_en
5setis.ec.europa.eu/system/files/set_plan_ee_in_industry_implementation_plan.pdf